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Dienstag, 21. Mai 2013

Nacht der Nächte

Wir schreiben das Jahr 2013. Es ist Samstag, der 25 Mai,
23.35 Uhr.

Wir befinden uns in London, genauer gesagt im Wembley-Stadion.
Eine schwarz-gelbe Wand steht einer rot-weißen gegenüber.
Es ist das Champions League-Finale zwischen Borussia Dortmund
und dem FC Bayern München.

Meine Augen sind eine gefühlte Ewigkeit zusammengekniffen.
Ich spüre, wie mir Schweiß meine Stirn herunterläuft.
Und ich spüre noch etwas. Eine Anspannung, eine Erwartungshaltung,
wie ich Sie in meinem Leben noch nicht gefühlt habe.
Knapp 90.000 Zuschauer erzeugen eine Atmosphäre, dass die Luft flirrt
und die Zeit stillzustehen scheint.

Ich öffne die Augen und sehe Mario Götze zum Elfmeterpunkt gehen.
Seine Schritte wirken auf mich etwas unsicher. Wer will es ihm verdenken?
Er ist der letzte Schütze eines denkwürdigen Finales, dass keiner so schnell
wieder vergessen wird.

Nach 120 Minuten Spielzeit steht es zwischen beiden Mannschaften 3:3 Unentschieden.
Einige Spieler werden von Krämpfen geschüttelt.
Doch zurück zu einem Spieler, der nach diesem Spiel zum Konkurrenten aus München
wechseln wird. Zurück zu einem Spieler, der gerade in diesem Moment einen Druck
auf seinen Schultern spüren muss, wie wir alle es uns kaum ausmalen können.

Versenkt er den Ball hinter seinem zukünftigen Mannschaftskameraden Manuel Neuer
im Tor hat der BVB die Champions League gewonnen.
Gegen die derzeit wahrscheinlich beste Mannschaft der Welt.
Triumph. Unsterblichkeit. Traum. Wahnsinn.

Verschießt er oder hält Neuer, ist alles aus. Vorbei. Niederlage. Diskussion.
Hätte er nicht schießen dürfen ?
War er zu befangen aufgrund des Wechsels?
Hat der Druck ihn übermannt?
Kann ein so junger Mensch das überhaupt alles schultern?
Die Anfeindungen der letzen Wochen, die Verletzung.
Und jetzt dieser Moment vor der ganzen Fußball-Welt ?

Ich kann mir vorstellen, was Bela Rethy und Marcel Reif jetzt gerade in ihre Mikrofone
raunen:  Was ihm jetzt wohl durch den Kopf gehen mag ?
Floskel, niemals angebrachter als in diesem Augenblick.
Ich kann es nicht länger ertragen und schließe schweren Herzens meine Augen erneut.

Ich harre der Dinge die da kommen. Sekunden werden zu Stunden. Ich senke meinen
Kopf und höre gebannt auf meine Umgebung.
Sekundenlang Stille. Stille, so laut wie kein Jubel der Welt sein kann.
Habe mich wohl geirrt.
Dann plötzlich wie eine Welle, die sich bricht- wuuuusch!!!!

Ohrenbetörender Jubel, der mich wegzureißen droht.
Ich öffne meine Augen und ahne das schlimmste, hoffe das Beste.
Was ich erblicke, kann ich augenblicklich nicht so recht deuten.
Ich sehe Mario Götze auf dem Rasen liegen.

Er rührt sich nicht. Auch Manuel Neuer liegt.
Sekundenlang wirkt alles auf dem Rasen und um mich herum wie in Zeitlupe.
Schwarz-gelb gekleidete Menschen liegen sich freudentaumelnd in den Armen.
Einige schreien ihre Erleichterung und Freude so laut heraus, dass ich glaube,
gleich stürzt die Tribüne ein.

Ich werde von einer Traube jubelnder Fans mitgerissen und fast erdrückt.
Ich kann immer noch nicht erfassen, was soeben passiert ist.
Inmitten einem schwarz-gelben Meer dämmert es mir langsam.
Wir haben es geschafft!
WIR HABEN GERADE DIE CHAMPIONS LEAGUE GEWONNEN!!!
UNFASSBAR!!! JAAAA!!!!

Langsam aber sicher werde ich wieder losgelassen und ich kann meinen Blick wieder
gen Spielfeld richten.
Mario Götze liegt nicht mehr regungslos am Elfmeterpunkt.
Jetzt wird er von seinen Teamkameraden auf den Schultern durchs Stadion hin zur
Kurve der Dortmunder getragen.

Ich sehe zur anderen Seite. Dort sitzt Bastian Schweinsteiger neben Manuel Neuer.
Beiden steht pure Fassungslosigkeit ins Gesicht geschrieben.
"We are the Champions" ertönt aus den Stadionlautsprechern über uns.
Aber nicht für die Bayern. Die haben gerade ihr drittes CL-Finale hintereinander
verloren. Dieses Lied gehört nur uns. Borussia.

Jetzt will ich den besten Trainer der Welt sehen. Was tut er ? Wie reagiert er ?
Erst kann ich ihn nicht finden, doch dann sehe ihn ihn.
Er steht allein wie einst Franz Beckenbauer im Mittelkreis.
Die Hände in den Taschen vergraben.

Ich kann sein Gesicht nicht genau erkennen. Zu weit weg.
Da!  Die Videoleinwand. Was ich sehe sind Tränen.
Tränen des Glücks, der Erleichterung, der Freude. Und noch viel mehr.
Ach Kloppo. Danke für alles! Ihr habt es so verdient! Verdient wie sonst keiner!

Zeitsprung, krasser Bruch.

Aus weiter Ferne höre ich einen dumpfen Ton, der allerdings immer näher zu
kommen scheint. Mein Wecker.
Ich wache auf und stelle fest, ich liege zu Hause in meinem Bett.
Oh Gott, denke ich. War denn alles bloß ein schöner Traum ?

Aber es erschien doch alles so real, so echt.
Ich haste aus dem Bett, rüber zum Tisch, wo mein Handy liegt.
Ich schaue auf die Datumsanzeige. Da steht 26.05.2013.
Gehetzt und nervös schalte ich den Fernseher an, Videotext.

Da steht: BORUSSIA DORTMUND BEZWINGT IN EINEM PACKENDEN FINALE BAYERN MÜNCHEN IM ELFMETERSCHIESSEN.

Also doch kein Traum!
Muss mich setzen. Alter, meine Nerven!
Ab in die Küche zum Kühlschrank. Auf den Schreck erstmal ein Bierchen.
Während mir der erste Schluck des kühlen Biers die Kehle runterrinnt denke ich noch kurz:

In welche Ecke hat der Götze eigentlich geschossen?
Verdammt, hätteste mal hingeguckt!
Scheißegal, WIR HAM DAT DING!!!!!