Jeden Moment wird Sie es sagen!
Oh, Gott, lang kann’s nicht mehr dauern.
Ich sitze angespannt auf einer Parkbank zum angrenzenden Kinderspielplatz.
Ich nehme zwei Mütter wahr,
die ihre übergewichtigen und deformierten Körper
auf einer Parkbank zum Stillstand gebracht haben
und muss zwangsläufig denken:
„Och, guck mal- zwei Riesenquallen in Blümchenkleidern auf Landgang.
Sie
beobachten ihrerseits ihre insgesamt 3 Sprösslinge, 2 Jungs, 1 Mädchen,
die allesamt 90 Prozent Erbmaterial ihrer Mütter mitbekommen haben.
Wofür sie nichts können.
Trotzdem schwillt mir der Kamm auch bei ihrem Anblick.
Kann ich auch nichts dafür, bin halt grade in der Stimmung.
Während die Kleinen ausgelassen herumtollen,
lecker Sandkuchen in sich rein schaufeln
und schreien wie Mastschweine, die gerade abgestochen werden,
bemerke ich, wie eine der beiden Mütter kurz das Gespräch mit der anderen unterbricht, mehr zufällig als gewollt, und aufsieht.
Genau in dieser Sekunde, komme ich wieder zu meinem Gedanken zurück:
„Nein, bitte sag es nicht! Bitte nicht! Das Super- Klischee!“
Doch all mein Flehen und Bitten verhallt unerhört und es kommt wie es kommen muss:
Die Worte erschallen über den Spielplatz.
Ich empfinde sie wie Fingernägel, die an einer Schiefertafel kratzen.
„Schantalle- komma bei die Mama, dat Sand iss nich zum essen!!!“
Ja, sie hat es tatsächlich gesagt, nein nicht nur gesagt, sondern über‘ s gesamte Gelände gebrüllt!
Schantalle
registriert überrascht den Schlachtruf des Mutterschiffs und beginnt,
sich im Zeitlupentempo Richtung Parkbank zu robben.
Dass Sie dabei ihre Speckstummel-auch Beine genannt, nicht benutzt,
scheint niemanden außer mich zu irritieren.
Unter viel keuchen und schwitzen und einer gefühlten Ewigkeit erreicht sie schließlich ihre Mutter.
Vor
meinen entsetzten Blicken holt die Mutter ein altes Taschentuch aus
ihrer Jeans, rotz einmal herzhaft hinein und zieht der Kleinen das Ding
einmal kräftig durchs teigige Gesicht.
Schantalle windet sich und versucht zu entkommen, aber sie hat keine Chance.
Die Pranke ihrer Mutter hält sie am Nacken in Reichweite.
Sie beschließt das Prozedere mit den Worten:
„Iss unser Schantalle wieda sauba! Un dattu keine Sand mehr essen tust!
Hör Su?!
Dat macht die Mama traurisch!!!“
Schuldbewusst und mit gesenktem Kopf
robbt Schantalle zurück Richtung Buddelkiste.
Ich dagegen kann mir ein breites Grinsen nicht verkneifen.
Dort angekommen, werden erst mal die beiden Mit-Fetties Kevin und der nicht minder adipöse Schastin mit einem herzlichen :
„Hapta mein Kuchen nösch gessen?!“ begrüßt.
Die
beiden Speck-Konglomerate sehen kurz verdutzt auf, registrieren mit
ihren Schweinenasen dass sich nichts Essbares in der Nähe befindet, und
widmen sich wieder ihrem sinnlosem Treiben.
Ich wende
mich wieder den Müttern zu und höre die glockenhelle Stimme der einen,
wie Sie zur anderen sagt: „Also Renate, jetzt sachett misch: Hat der
Klaus immer noch dat Problem im Bett?“
Und mir
kommt unweigerlich ein Song von den Ärzten in den Sinn, den ich sogleich
leise vor mich hin summe, um allen weiteren Einzelheiten und
Ausführungen zu Klausis Errektionsstörungen zu
entgehen: „Das sind Dinge, von denen ich gar nichts wissen will, la, la ,la…“
Und
so vergehen gefühlt endlose Minuten bis ich mich wieder traue mit
leicht zusammengekniffenen Augen und immer leiser werdendem Gesumme
Renate und Monika erneut zu lauschen.
Zu meiner Überraschung wurde das Thema in der Zwischenzeit gewechselt.
Leider
nicht zum Besseren, im Gegenteil, nun geht es um Uschi, ein
befreundeter Frauenplanet, wie ich vermute, und um ihre
Verdauungsprobleme kurz nachdem Sie ihr viertes Kind
geworfen hatte.
Auch
nicht besser, sag ich mir und für einen kurzen Moment schleichen sich
Fragen in meine Gedanken: „Was mache ich eigentlich hier? Warum sitze
ich immer noch hier und beobachte
zwei Mensch gewordene
Kontinente samt ihrer Brut und lausche ihren Grunzlauten, die Sie selbst
wohl „Jespräsche „ nennen würden?“
Nach kurzem Überlegen fällt mir dazu nur eine logische Antwort ein:
Es
ist wie bei einem Unfall. Es ist schrecklich, man will es eigentlich
nicht sehen aber man MUSS einfach hinsehen. Es wie ein Zwang. Ja, das
wird es sein.
„Schon irgendwie hart, dieser Vergleich“, denke ich kurz und ein Gefühlsgemisch aus Scham und
Demut
überkommt mich, dass in dem Moment wie ein Kartenhaus in sich
zusammensackt, als ich zum ersten Mal an diesem lauen Nachmittag
Schastins helles, kreischendes Stimmchen vernehme:
„Mammmaaa, dat Schantallle hat misch mit dat Sand worfen!!!“
Jede
Zelle meines Körpers wendet sich angewidert ab und mich überkommt der
starke Drang dem kleinen Schastin mal zu demonstrieren was es heißt,
WIRKLICH mit Sand beworfen zu werfen.
Den Gedankengang
noch nicht völlig zum Abschluss gebracht, blökt auch schon die Antwort
des Muttertiers herüber: „Schantalle, wat happ isch disch öbber dat
Sand schmeissen jesacht?
Et wört nisch jeschmissen, sonst jeht dat janz schnell und mit Spielplatz iss Ende!“
Machett wie unser Kevin. Der spielt auch ruhig in die Kasten mit dat Sand!“
Ja, genau, denke ich und werfe einen Blick rüber ans andere Ende
der Hundetoilette- auch Sandkasten genannt.
Da liegt nämlich, friedlich schlummernd und sabbernd der kleine fette Kevin.
Stimmt, mit einem Punkt hatte Sie recht, ruhig ist er tatsächlich.
Mit Sand spielt er eher nicht, eher verdaut er ihn in diesem Moment.
Na ja, jeder nach seinem Gusto.
Kann ihn auch irgendwie verstehen, den kleinen Kevin.
Mit
einem Namen von der Stange fürs Leben gestraft, ganz zu schweigen von
den Genen des Schwabbeltiers, nur noch übertroffen, von ihren nicht
vorhandenen Kochkünsten,
würde ich auch jede Gelegenheit nutzen,
um diesem Alltag zu entkommen und sei es nur in einer begrenzten
Strandimitation, auch als städtischer versiffter Spielplatz-Sandkasten
bekannt.
Irgendwie tun sie mir ja auch leid, die 3 kleinen
Schweinchen, wie sie da so vor sich hin existieren, mit ihrem
unstillbaren Hunger nach dem nächsten Schokoriegel und Aufmerksamkeit.
Ja, jeder Mensch braucht Liebe, auch die,
die eher Äußerlich der Mastsau näher stehen als dem Homo sapiens.
Durch diese ganze Denkerei habe ich Hunger bekommen
und überlege ernsthaft, rüberzugehen
und Monika und Renate nach einem Müsliriegel oder einem Apfel zu fragen.
Kurz grinse ich in mich hinein und amüsiere mich eine Sekunde ob meines absurden und herrlich abwegigen Gedankens.
Als
ich mich fange und gerade ein weiteres Mal erwäge diesen amüsanten aber
mittlerweile eintönigen Ort des Geschehens zu verlassen, höre ich die
entscheidenden Worte dieses Tages,
die alles andere verstummen und nichtig werden lassen:
„Kevin, Schastin, Schantalle komm bei die Mama, wir fahrn nach Omma!“
Da war er! Der unweigerliche Höhepunkt diese grotesken Schauspiels in mehreren Akten.
Fast werde ich ein wenig wehmütig ob des nun folgenden Bildes.
Die
zwei Fettberge wuchten sich gegenseitig unter Zuhilfenahme ihrer T-Rex
Speckstummelärmchen von der Parkbank hoch und bewegen sich Richtung
Sand-bzw. Seuchenkasten.
Der schlummernde Kevin wird brutal von
Mama Monika wachgerüttelt und fängt spontan an, so laut zu schreien, das
ich für einen kurzen Moment glaube, mein Trommelfell verabschiedet sich
ins Ohr-Innere.
Schantalle und Schastin werden nicht
weniger liebevoll von Renate wie Kühe aus dem Sandkasten in Richtung
Ausgang des Spielplatzes getrieben.
Jetzt schreien alle 3 Gottesgeschenke und alle Beteiligten haben gute Laune.
Und warum auch nicht, denke ich mir still, immer noch leise und unbemerkt verharrend auf meiner Bank.
Wir haben heute doch alle etwas Wertvolles gelernt, jeder etwas anderes.
Monika
und Renate haben gelernt, dass sich nichts zwischen ihre wichtigen
Gespräche drängen kann, nicht einmal ihre eigenen Kinder.
Schastin und Schantalle haben gelernt,
wie eine zwischenmenschliche Auseinandersetzung
funktioniert
und das der Ton, mit dem Sie angesprochen werden, nach wie vor der
Kasernenhofton ist, und wohl auch noch eine ganze Weile bleiben wird.
Der kleine Kevin hat gelernt, das man auch im Dreck wunderbar pennen kann und Sandkuchen auch nicht viel schlechter schmeckt,
als das was Mama jeden Tag so auf den Tisch stellt.
Und ich?
Was nehme ich aus diesem Nachmittag mit in mein weiteres Leben?
Ne Menge, aber das Wichtigste ist wohl eines:
Ich habe gelernt, dass Klischees manchmal stimmen und das
Toleranz gegenüber anderen wichtig ist.
Aber manchmal darf man ruhig ein bisschen böse sein,
merkt ja keiner.
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