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Sonntag, 15. April 2012

Schwarzes Herz

Wind, Wellen, heftiger Seegang, zu vernehmen ist Gewimmer,
ein Segelschiff, auf dem Weg ins Ungewisse,
kein Mensch auf Deck, ein Kind weint, es wird schlimmer,
ich bin auf der Suche nach was auch immer.

Der Sturm tobt durch die Wellen und die Wolken werden schwarz,
festgeklammert am Mast stehe ich und hoffe,
hoffe auf mein Überleben, das Kind ist mir egal.
Weiß weder wo ich bin, noch wer ich bin, es ist eine Qual.

Mein schwarzes Herz schlägt finster und dumpf
in meinem Rumpf.
Abermals ertönt das Geschrei, das ich schon kenne,
mache mich auf die Suche, ich renne unter Deck
und erschreck mich fürchterlich.

Dort unten im Dreck sitzt ein Geschöpf ohne Geschlecht,
es scheint weder Mann noch Frau zu sein,
ich glaube, ich träume, doch das ist alles echt.
Es dreht sein Gesicht, ich seh seine Fratze,
entstellt vor Angst, ein stummer Schrei auf den Lippen,
sein Körper ist nackt, auf dem Kopf eine Glatze.

Es sieht mir direkt in meine Augen, es hat mich erkannt
und wie gebannt starre ich zurück,
am liebsten wäre ich sofort davon gerannt,
doch das war mir nicht möglich,
ich stand dort allein, allein mit meinem schwarzen Herz,
insgeheim am Hoffen, am Ende vielleicht doch ein Scherz.

All das Hoffen war vergeblich, das hier ist wahr,
als das Wesen sich erhebt, meine Stirn vom Schweiß verklebt.
Es wankt unter dem Einfluss der Gezeiten,
meine Gefäße beginnen, sich zu weiten.
Jetzt ist es schon ganz nah, ich steh ganz still,
neige mein Haupt, schaue nach unten,
und sehe das, was ich nicht will.

Es schlägt seine kleinen, dürren Arme um mein Bein,
mit hoher Stimme schreit es laut,
es wolle nicht alleine sein.
Angewidert schließe ich die Augen,
drehe meinen Kopf Richtung Tür,
an meinem Bein klebt ein Geschwür.

Ekel tötet meine Angst und langsam begreife ich, was hier geschieht,
es krallt sich an mir fest, es zieht, will mich zu Boden reißen,
doch ich ziehe mich aus der Affäre, renne in die Kombüse
und entdecke eine Schere.

Ich spüre, nein, das ist kein Scherz,
Mordlust keimt auf in meinem schwarzen Herz.
Getrieben vom Geschrei haste ich zurück,
und denke, noch ein kleines Stück, dann ist es vollbracht,
dann habe ich es umgebracht.

Als ich zurück in diesem dunklen Zimmer,
geht mein Blick in alle Ecken,
aus einer dröhnt abermals Gewimmer,
ich schreie aus vollster Seele: Du kannst dich nicht vor mir verstecken!

Ich zücke meine Waffe und nehme Angstschweiß wahr,
mit wildem Blick stech ich mit der Klinge Spitze,
mit voller Kraft in jede Ritze.
Und während ich der Jagdlust fröne,
höre ich plötzlich ein Gestöhne.

Seine Worte lassen mich schaudern,
für einen kurzen Moment übernimmt mein Zaudern,
bis ich begreife, was es mir sagen will, was es meint,
es spricht nicht einmal, nein- es weint.

Es weint bittere Tränen und  Mitleid keimt auf
in meinem schwarzen Herzen.
Dass es dazu noch fähig ist, hätte sein Besitzer nicht geahnt,
Bruder Wut und Schwester Hass hatten sich ihren
Weg schon längst gebahnt.

Doch wie zu erwarten, hält Erbarmen nicht lang an,
und meine Hand samt Klinge fängt wie von selbst an, zuzustechen.
Augenblicklich verstummt jedwede Stimme,
und Blut beginnt, aus Venen auszubrechen.

Meine Hand hört nicht auf mit ihrem Auftrag, Tod zu bringen,
das kleine Geschöpf muss um sein Leben ringen.
Das Ziel ist erreicht, ich hab es geschlachtet,
doch ich beging einen Fehler,
habe etwas nicht beachtet.

Hab in meiner Abscheu& meinem Wahn übersehen,
was ich da getötet habe.
Das Kind, die Unschuld, die in jedem Menschen lebt,
so hilflos, ich hab es hingerafft,
hab das geschafft, was eigentlich unmöglich scheint,
es hat mich angefleht, es hat geflennt,
jetzt liegt es da im Totenhemd.

Und ich stehe da und erkenne das Ausmaß meiner Tat,
Tränen der Verzweiflung rinnen über mein Gesicht,
weiß keine Antwort, weiß keinen Rat,
eile hinaus in die Nacht, der Wind lacht mich aus,
Gischt peitscht mir ins Gesicht.

Ich war so dumm, schreie nur  ein Wort in die Nacht: „Warum?“
Die Antwort kommt auf der Stelle in Form einer Welle.
Eine Welle, haushoch und stark wie ein Vulkan,
sie schlägt über Backbord, erfasst mich,
ich stürze zu Boden und brech mir den Arm.

Mit letzter Kraft greif ich ein Seil und rappel mich auf,
ich wanke, lauf Richtung Planke,
halte kurz inne und springe.

Als mein Leib die tobende See berührt,
als sich in meiner Panik meine Kehle zuschnürt,
sind meine letzten Gedanken:

Was hab ich getan?
Ich hab es getötet, hab das Leben nicht verdient,
bin jetzt in meinem Wellengrab, so voller Schmerz.
Bin jetzt für alle Zeit vereint, mit meinem kalten, schwarzen Herz.


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